Misir Wot – Linsengericht aus Äthiopien

Misir Wot – Linsengericht aus Äthiopien

„Berbere. Immer dieses Berbere. Ich kann es nicht mehr essen.“, der Kaptain verzweifelte. Der dithmarschisch-äthiopische Kulturaustausch lief holprig. „Und dann immer dieses Labberbrot. Ist ja lieb, dass mich Eyerusalem zum Essen einlädt. Aber kann sie nicht mal was Normales machen? So ein ordentliches Nackensteak?“

Das Zusammenleben erforderte Geduld und Anpassung. Der Kaptain hatte für vier Jahre eine Einliegerwohnung im Haus an Eyerusalem und ihre beiden Kinder – ልጅ1 und ልጅ2 – vermietet. Diese nutzten den Garten mit und bekamen Übersetzungs- und Behördenhilfe. Sie revanchierten sich mit Einladungen zu Essen und Kaffee.

Aber es war nicht immer einfach. Da war die Kaffeezeremonie. Die Dithmarscher Kaffeezeremonie beruht auf einem 0,4l-Pott-Kaffee aus der Filtermaschine. „Komm rein setzt dich. Hier Kaffee“ – „Jo“ – „Kannste nachher bei Edeka“ -“ klar“ – „Ach, und die Melanie, sach bloß“ – „Jo“ – „Ich hab Eure Katze vor der Sparkasse gesehen“ – „Bis morgen.“ 20 Minuten, ein großer Pott Kaffee.

Die äthiopische Kaffeezeremonie beruht auf einem langwierigen Prozess, der mit dem Rösten der Kaffeebohnen beginnt, hochritualisiert ist und selbst in seiner gehetzten Version mindestens eine Stunde dauert. Am Ende gibt es eine Espressotasse voll Kaffee und dazu Popcorn („Fenidsch“).

Popcorn zur Kaffeezeremonie

Gemeinsames Kaffeetrinken blieb schwierig. Gemeinsames Essen neigte zur Berbere- und Brotfladenlastigkeit.

Essenseinladungen

Es war nicht immer einfach. Die Gegeneinladungen des Kaptains warfen Probleme auf: „Also, Schwein isst sie gar nicht. Obwohl sie Christin ist. Und dieses Fasten. Immer wenn ich sie einladen will, fastet sie gerade. Dann darf sie nie essen. Wenn sie essen darf, dann ohne alles.“

Glücklicherweise war es mit ልጅ1 und ልጅ2 unkomplizierter. Die Kinder waren noch nicht an die Fastenregeln der äthiopisch-orthodoxen Kirche gebunden. Sie nahmen freiwillig zu allen Tageszeiten Eiscreme und Pommes an.

Als gelegentliche Gäste sahen Madame und ich vor allem die positiven Seiten. Uns brachte Eyerusalems Aufenthalt in Dithmarschen Einladungen zu Injera mit Beilage ein. Es brachte uns monatelanges Suchen in Berlin und anderen Großstädten nach einer Jebena – der typischen Kaffeekanne für die äthiopischen Kaffeezeremonie, die auf Jahre hinaus in Deutschland vergriffen ist.

Vor allem brachte es uns einen Heimkurs in der Injera-Herstellung. Ich nahm nur unter Widerstand teil, denn „Männer haben dabei nichts zu suchen“ Aber wir konnten uns durchsetzen und ich durfte zusehen.

Berbere kommt ín das Misir Wot

Eyerusalem lebt inzwischen in Kiel. Der improvisierte Injera-Workshop ist einige Jahre her. Aber die vagen Erinnerungen an Sauerteig, Teff- und Milomehl und den leeren Farbeimer zur Teigherstellung bleiben. Ebenso wie die Erinnerung an die Kilopakete Berbere, die in fast jedem Essen landeten.

Fasten

Wenn es denn Essen gab. Eyerusalem lebte ihren christlichen Glauben in einer Intensität, wie er in deutschen Verhältnissen ungewöhnlich ist. Die äthiopisch-eriträischen Kirchen bieten zum Ausleben christlicher Überzeugungen zahlreiche Gelegenheiten.

Das Kirchenjahr der Athiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche weist insgesamt 250 Fastentage aus, von denen 180 Tage von erwachsenen Laien gehalten werden sollen. Die restlichen 70 Fastentage sind nur für Geistliche, Nonnen und Mönche bindend. An diesen Tagen wird nur eine Mahlzeit am Nachmittag gegessen. Diese kommt ohne tierische Bestandteile – Fleisch, Eier, Milchprodukte aus.

Gefastet wird jeden Mittwoch und Freitag. Die orthodoxen Äthiopier praktizieren veganes 5:2 Intervallfasten seit vielen hundert Jahren. Dazu kommen 56 Tage vor Ostern. Die Apostel-Fastenzeit dauert vom Dienstag nach Pfingsten bis zum 4. Tag des Monats Hamle. Je nach Lage von Pfingsten im Jahr kann diese Fastenzeit 10 bis 40 Tage dauern. Es folgt eine 36-tägige Fastenzeit im Hochsommer vor dem Fest der Mariä Aufnahme in den Himmel.

Die Fastenzeit der Propheten gilt 40 Tage vor Weihnachten.

Ostern

Wichtig ist die Fastenzeit vor Ostern, in der nur Brot, Wasser und Salz erlaubt sind. Die Mahlzeit des Tages findet am nachmittags statt. Strenggläubige trinken davor kein Wasser.

Am Wochenende wird die Tagesmahlzeit morgens gegessen. Natürlich gehören zahlreiche Gebete und Kirchenbesuche mit zur Fastenzeit. Ab Gründonnerstag abends bis Sonntag morgens wird gar nicht mehr gegessen, Priester und streng Gläubige sollen in dieser Zeit nicht trinken.

Ausnahmen

Ausnahmen vom Fasten gelten an Weihnachten, den Heiligen Drei Königen, dem „Fest der 50 Tage“ und der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. In diesen Zeiten wird auch freitags und mittwochs nicht gefastet. Fällt Weihnachten allerdings auf einen Mittwoch oder Freitag tritt das Gahad-Fasten an seine Stelle, das am Vorabend erfolgt – praktisch hat dieses keine Auswirkungen, da der entsprechende Tag zwangsläufig schon in der Fastenzeit der Propheten liegt,

Nicht von der Kirche befolgt, aber im Volksglauben gelebt, wird die Fastenzeit der Blumen im Herbst, um an die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten zu erinnern und die Fastenzeit Puagumen an den fünf Tagen vor dem äthiopischen Neujahr.

Der Kaptain seufzte: „Und dann finde einen Tag an dem Du sie zum Essen einladen kannst.“

Injera / እንጀራ

Angesichts der Fastentage entwickelte die äthiopische Küche zahlreiche vegane Gerichte. Basis ist das Injera – der Sauerteig-Pfannkuchen aus Teff- und anderen Mehlen. Dazu kommen verschiedene Schmorgerichte mit Linsen, Kichererbsen, Erbsen oder Kohlarten.

Eyerusalems Injera-Variante bestand zu etwa gleichen Teilen aus Teffmehl, Milo(Sorghum-)mehl und Weizenvollkornmehl sowie Wasser. Sie setzte den Teig am Tag vor der Zubereitung zusammen mit Sauerteigresten vom letzten Teig an.

Mangels eines großen Injera-Steins und offenem Feuer behalf sie sich mit einer großen Pfanne aus dem E-Herd. Sie goss den flüssigen Teig spiralförmig in die heiße Pfanne. Es entwickelte sich ein Teigfladen, der in der äthiopischen Küche als Teller, Essen und Besteck gleichzeitig dient.

Eyerusalems Mehl- und Berbere-Bezugsquelle war die Birlin Mühle aus Rheinfelden. Ursprünglich eine kleine badische Mühle, die sich auf Tierfutter spezialisiert hatte, hat sie sich mit ihrem Habesha-Food-Shop zum unersetzlichen Versorger der äthiopischen und eritreischen Communities im deutschsprachigen Raum entwickelt. Über Jahre bewunderten wir die Fünf- und Zehnkilo-Säcke von Birlins Teff- und Milomehl in Eyerusalems Küche.

Natürlich bestellten wir dort. Das Paket erreichte uns nicht direkt. Die Post wollte auch nicht die Nachbarn oder zahlreichen Poststellen in der Nachbarschaft in der belästigen, sondern verschiffte das Mehlpaket in die Poststelle Leberstraße, für uns hinter den sieben Gleisen. Ein kurzer Blick auf die Karte, eigentlich um den besten Anfahrtsweg zu ergründen, ergab: „Hm, zwei Häuser daneben liegt das ‚Mehlstübchen‘ – wenn die jetzt auch Teff und Milo haben, wäre das ganz schön bescheuert.“

Ich sattelte mein Fahrrad Samstag um 14 Uhr, stand um 14:30h vor der Post: „Heute ab 13 geschlossen wegen Inventur“ – Also doch Mehlstübchen, das Teff schon im Schaufenster anpries. Aber leider „Öffnungszeiten Samstag bis 14 Uhr.“

Einige Biomärkte später hatten wir immerhin Teff, auf Milo mussten wir verzichten. (Entdeckung am Rande, nachdem ich einige Tage später in die offene Post gekommen war: Das Biomarkt-Teff roch ein gutes Stück muffiger als das Birlin-Teff).

Berbere zum Glück, bot Birlin nur im Kilopack, so dass ich gleich auf „Neumann Gewürze“ in Friedenau setzte, die Gewürzmischung bekam, und die vegane Beilage zubereiten konnte. Nichts geht ohne Berbere.

Die kulinarische Weltreise

Halbverschüttete Erinnerungen an große Eimer mit flüssigem Sauerteig, Erinnerungen an Berbere und neuere Erfahrungem im Bejte Ethiopia Restaurant in Schöneberg leiteten Madame und mich durch die kulinarische Weltreise.

Diese ist ein Blogevent von volkermampft. Jeden Monat ein anderes Land, an dem sich Foodbloggerin und –blogger und andere Interessierte versuchen. Nach dem Aufenthalt in Haiti im Januar und vor den Stopps in Rumänien (März) und Singapur (April) reisen wir im Februar nach Äthiopien.

Blogger Aktion "Die kulinarische Weltreise" von @volkermampft hält in Äthiopien - die besten Rezepte und Gerichte

Im Angedenken an die orthodoxen Fastentage entschied ich mich für ein veganes Gericht. Zum obligatorischen Injera versuchte ich Misir Wot – einem scharfen Linsengericht.

Wots sind in der Küche Äthiopiens scharfe Schmorgerichte mit Berbere – neben dem Misir Wot mit Linsen gehören Doro Wot (Huhn), Shiro Wot (Kichererbsen), Gomen Wat (Blattkohl) oder Siga Wot (Rind) zu den Klassikern.

Injera 1

Zutaten

250 Gramm Teffmehl
250 Gramm Weizenvollkornmehl
1000 ml Wasser
2 Schlach Roggensauerteig

Ein Schlach Sauerteig

Vorbereitung

Über Nacht gehen lassen

Am nächsten Tag umrühren und weiter gehen lassen

Zur Zubereitung

Die Mischung spiralförmig von innen nach außen in eine heiße Pfanne gießen. Sobald sich Blasen bilden, mit dem Deckel abdecken. Die Injera sind fertig, sobald der Rand sich wellt und vom Pfannenboden zu lösen beginnt.

Injera in Pfanne

Misir Wot

Zutaten

200 Gramm rote Linsen
Eine kleine Dose Tomaten (400/260 Gramm)
800 ml Wasser
Drei Zentimeter Ingwerwurzel, klein geschnitten
Zwei Zwiebeln
Vier Knoblauchzehen
Berbere
Kurkuma
Kreuzkümmel

Mangels Gewürzbutter (Nitter Kibbeh) begann ich mit einem Öl-Gewürz-Ansatz: Olivenöl, Kurkuma, Kreuzkümmel heiß werden lassen.

Nach einigen Minuten Zwiebeln, Ingwer und Knoblauch hinzugeben. Köcheln lassen bis die Zwiebeln glasig sind.

Linsen, Tomaten, Wasser, Berbere in die Pfanne geben. Mit Deckel köcheln lassen bis die Linsen anfangen weich zu werden. Gegebenenfalls Flüssigkeit nachgießen.

Misir Wot (und eventuell weitere Saucen) auf dem Injera einrichten. Zusätzliche Injeras zum Essen bereitlegen.

Spannenderweise: Sowohl Injera wie Misir Wot schmeckten beim Solo-Abschmecken leicht unrund und nicht ausgewogen. Zusammen aber: großartig.

Teller mit Injera, Misir Wot, äthiopisch inspiriertem Kohl und Frischkäse

Meskel

Wenn die orthodoxen Christen nicht fasten, dann feiern sie. Zum Beispiel Meskel: das Fest von der Auffindung des wahren Kreuzes. Es hat sich zu einem gesamtäthiopischen Feiertag entwickelt, an dem sich auch die Moslems des Landes Beteligen. An seinem Feiertag wird alles mit dem zu dieser Zeit blühenden Meskel-Gäsenblümchen ‚Adey Abeba‘ (Bidens macroptera) geschmückt.

Meskel-Gänseblümchen/ Adey Abeba (Bidens macroptera) in Äthiopien. Bild: Ethiopian New Year Landscape. von: Tewodros Kassa Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Am Ende des Abends brennt ein großes Lagerfeuer. Auch in der Diaspora ist Meskel ein Anlass, um die gesamte äthiopische Community zusammenzubringen. Wie zum Beispiel hier in Ohio:

Weitere Weltreisende

Wilma von Pane-Bistecca mit Injera- Aethiopisches Fladenbrot
Britta von Brittas Kochbuch mit Sega Wat – Äthiopischer Lammeintopf
Wilma von Pane-Bistecca mit Zigni-Kai Wat – Aethiopisches Rinder Gulasch
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Niter Kibbeh – äthiopische Würzbutter
Susanne von magentratzerl mit Traditionelles Injera
Friederike von Fliederbaum mit Doro Wot – Hühnerschmortopf mit Eiern
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Scharfer Rindfleischeintopf mit Bockshornklee und Kartoffeln – Abish Wot
Kathrina von Küchentraum & Purzelbaum mit Äthiopischer Wirsingeintopf – Atakilt Wat
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Teff-Injera – äthiopisches Sauerteig-Fladenbrot aus der Pfanne
Susanne von magentratzerl mit Minchet Abish – Rinderhaschee in pikanter Bockshornkleesauce
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Gemischte vegetarische Platte zu Injera
Simone von zimtkringel mit Niter Kibbeh
Simone von zimtkringel mit Kitfo – Tatar auf äthiopisch
Dirk von low-n-slow mit Misir Wot
Tina von Küchenmomente mit Dabo – Honigbrot aus Äthiopien
Britta von Brittas Kochbuch mit Wat mit heimischen Gemüsen – afrikanisch-europäisches Crossover
Volker von Volkermampft mit Berbere selbstgemacht – Rezept für die Äthiopische Gewürzmischung
Volker von Volkermampft mit Injera – Rezept für das Äthiopische Pfannenbrot aus Teffmehl
Manuela von Vive la réduction! mit Injera, Niter Kibbeh und vier „Auflagen“
Volker von Volkermampft mit Misir Wot – scharfer äthiopischer Linsen-Eintopf
Volker von Volkermampft mit Doro Wot – äthiopischer Hähnchen-Topf – langsam geschmort
Volker von Volkermampft mit Timatim – äthiopischer Tomatensalat mit leckerer Vinaigrette
poupou von poupous geheimes laboratorium mit Doro Wot
Regina von bistroglobal mit Äthiopisches Schmausen

13 thoughts on “Misir Wot – Linsengericht aus Äthiopien

  1. Hi Dirk, ich bin fast ein wenig neidisch auf deine wohlgeformten Injera und tatsächlich neidisch auf die Gelegenheit, eine Kaffeezeremonie miterlebt zu haben.
    Ansonsten: Ich habe die Lektüre deines Beitrags wie immer genossen!
    Herzliche Grüße aus dem Süden
    Simone

  2. Und schon wieder so eine tolle Geschichte! Die Linsen durfte ich auf unserer gemischten Platte vom Äthiopier auch kosten, gut dass ich sie für meine Injera-Mix-Platte nicht gemacht habe. Die beiden anderen Farbkleckse gibt’s bei mir nämlich auch 🙂

    Beim nächsten Besuch meiner ältesten Tochter – sie wohnt in Rheinfelden – ist übrigens ein Trip zur Birlinmühle fest eingeplant!

  3. Pfffft. Ich fange langsam echt an mich zu fragen, was genau ich eigentlich für ein Problem mit Injera habe; ich lege mch grade mal weinend in der Ecke ab :-)). Und nehme zum Trost eine großzügige Portion Linsen.
    Und Kaffee, den äthiopischen Kaffee liebe ich, auch jenseits der Zeremonie. Kaffeerösterei um die Ecke hat das einen Guten…

  4. Ab jetzt reise ich ab und zu auch mit. Misir Wot hat mir auch sehr gut geschmeckt. Meine Gäste fanden jedoch Das Gericht mit Gelben Linsen einen Tick leckerer – Curry-Kik Alicha.

  5. Also ich muss sagen, an so einer Kaffeezeremonie würde ich ja liebend gerne auch mal teilnehmen. Und einen Privatkurs zum Injera zubereiten würde ich auch nehmen.
    Liebe Grüße

  6. Oh, das sieht auch sehr lecker aus.
    Ich muss demnächst, wenn ich vom Kaff wieder in die „Großstadt“ reise, unbedingt äthiopisch essen gehen.

    Liebe Grüße
    Britta

  7. Ich beneide dich ja ehrlich gesagt etwas. So eine Kaffeezeremonie würde ich ja auch gerne mal erleben. Aber hier in der Gegend gibt es nicht mal ein äthiopisches Restaurant. Zum Glück kann ich jetzt ja auf erprobte Rezepte zurückgreifen.Vielen Dank für deinen informativen Beitrag. Bei dir macht das Lesen wirklich Spaß!
    Liebe Grüße
    Tina

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