Pikliz – Kulinarische Weltreise Haiti

Pikliz – Kulinarische Weltreise Haiti

„Rübstiel kann Rapini sein, muss es aber nicht. Rübstiel bezeichnet nur den Teil der Pflanze der genommen wird. Es ist aber nicht spezifisch in seiner Aussage, welche Pflanze. Cime di Rapa, die Pflanze, wird aber auf jeden Fall wie Rübstiel zubereitet.“ Z und ich zogen die letzten Punkte in unserer Tabelle „Bitteres Essen in vielen Sprachen“ klar.

Wir hielten uns am Alboinplatz neben der „Blanken Helle“ auf. Über uns thronte die Auerochsen-Skulptur. Ich hatte Z aufgesucht, um meine amerikanische Chicory-Chicorée-und-Endive-Verwirrung zu klären.

Nachdem wir damit fertig waren, schaute sie verklärt: „Echte amerikanische Farmers‘ Markets mit frisch geernteten Pfirsichen, Orangen, Okras, Green Tomatoes – das vermisse ich in Deutschland schon“, sagte sie.

Z war inzwischen in eine entspannte Skorpion-Pose übergegangen. Ich lümmelte auf der Bank. Sie stand auf der Parkmauer im Unterarmstand. Wir unterhielten uns auf Augenhöhe.

Karibisches Ziegengulasch in Washington

„Ach, in die USA müsste ich wieder“, seufzte ich. „Ist fast 10 Jahre her der letzte Aufenthalt von mehr als drei Tagen.“ Und weil ich gerade Chillies im Kopf hatte, erzählte ich eine Anekdote:

„Damals in Washington, D.C. 2012. Wir waren mit einigen Bekannten im Kramerbooks and Afterwords am Dupont Circle verabredet. Großartiges Konzept. Buchhandlung im Erdgeschoss und Restaurant im 1. Stockwerk. Während man auf den Platz wartet, kann man in den Büchern stöbern. Also auf jeden Fall hatten wir essen bestellt, ich war experimentell und hatte das karibische Ziegengulasch genommen. Da kommt eine Kellnerin – wie aus dem Bilderbuch für US-Kellnerinnen – tiefdunkle Haut, um die 40, breit und mit einer Präsenz, die den ganzen Raum ausfüllte. Die stellte den Teller vor mich, darauf eine Chilischote. Die Kellnerin schaute mich an. Dann schaute sie die Chilischote an. Dann schaute sie wieder skeptisch auf mich. Sie zeigte auf die Schote und sagte ‚You don’t want to eat this. This is too hot.“ – ich fragte zurück wie scharf: ‚How hot?‘. Sie: ‚Too hot for you!‘ Und sie ging ab.“

Getrocknete Scotch Bonnetts

„Im Laufe des Abends war ich neugierig, schnitt mir ein Stück ab, einige Millimeter, so groß, dass ich es mit bloßen Augen gerade noch sehen konnte. Ich probierte. Und es war scharf, aber erträglich. Der ebenfalls anwesende deutsche Bekannte P war mutiger. Sein Teststück war halt das übliche Edeka-Chili-Schärfe-Probierstück wie ich es in Deutschland nehmen würde. Und sagen wir so: Der Rest des Tisches hatte die nächsten 20 Minuten viel Spaß an P.“

Der Kopfüber-Skorpion neben mir lächelte, bildete ich mir ein. „Seitdem weiß ich, dass es Chilies gibt, die mir too hot sind.“

Kote pwav la?

Ich fragte Z, ob sie wusste, wo es in Berlin „Scotch Bonnet Peppers“ gibt: eine der Chillies aus der „Too hot“-Kategorie. Aber typisch für die Küche Haitis. Und ich versuchte, in jenem Moment an der kulinarischen Weltreise Haiti teilzunehmen. Die Weltreise ist ein Blogevent von volkermampft, jeden Monat ein anderes Land. Er gibt mir die Möglichkeit, experimental zu werden. Ich versuche Sachen, die ich nie gemacht habe. Oder ich probieren Techniken, die ich seit langem nicht mehr angewendet hat. Wie zum Beispiel zu-scharfe-Chillies zu benutzen.

Nur bekam ich keine Scotch-Bonnets. Andere Weltreiseteilnehmerinnen konnten die Habaneros aus dem Garten nehmen. In solchen kulinarischen Luxusverhältnissen lebe ich nicht. Ich muss kaufen. Das stellte sich als gar-nicht-so-einfach-heraus.

Ich war in einem Südberliner Gewürz- und Kochgeschäft gewesen. Der Laden trägt das Wort „Pepper“ im Namen. Dort in Steglitz hatte ich nach Scotch Bonnets gefragt. Die Verkäuferin schaute mich an, als hätte ich aus heiterem Himmel um die Hand ihrer Tochter angehalten. Sie blieb stumm. Ich dachte: „Naja, Maske im Gesicht, wer weiß was sie verstanden hat.“

Ich wiederholte langsamer, deutlicher und lauter. Ihr Blick änderte sich nicht. „Nein, wir haben viele Chillies, aber DAS haben wir nicht.“ Einige Sekunden hoffte ich auf einen Fachgeschäfts-typischen Anschluss wie „Aber hier wäre eine gute Alternative..“ oder „Wir haben das nicht, aber bei ‚Chilli und Chia‘ hinter den sieben Bergen könnte es…“ Es kam nichts.

Sollte ich Pikliz ohne Scotch Bonnets probieren?

Pikliz

Pikliz (ausgesprochen vage: Pickles) ist eine Beilage der haitianischen Küche. Kohl, Karotten, Chillies, einige Tage in Essig eingelegt. Das Einlegen in Säure – Essig, Limettensaft, Zitronensaft – ist ein Standardverfahren in Haiti. Kein Wunder in einem tropischen Land, das lange zu arm für eine zuverlässige Kühlung der Speisen war.

Auch für tropisches Essen wird Kohl gerieben.

Haitianer reichen Pikliz gerne zu reichhaltigem Essen wie Griot. Die Wikipedia in haitianischem Kreol – „Wikipedya se yon ansiklopedi lib, vèsyon ayisyèn // Wikipedia ist eine eine freie Enzyklopädie, haitianische Version“ – schreibt zum Gericht und seinen Beilagen: „Griyo prèske toujou sèvi ak pikliz ak diri oswa bannann peze.“ (Laut aussprechen hilft beim Verständnis).

Die Pikliz-Mischung aus Süß-Sauer-Scharf wird gerne als „der Geschmack Haitis“ bezeichnet. Sie findet sich in verschiedensten haitianischen Gerichten.

Die Scotch Bonnet gehört zu den schärfsten handelsüblichen Chillies der Welt. zeichnet sich neben der Schärfe durch ihr fruchtiges Aroma aus. Die Fruchtigkeit soll das Pikliz im Geschmack reichhaltiger machen soll.

Mein Verhältnis zu Haiti ähnelt meinem Verhältnis zu scharfen Chillies. Seit der Kindheit fand ich frankophone Amerika (Quebec, Louisiana/New Orleans, Haiti) immer aufregender als den anglophonen Teil des Kontinents. Vielleicht, weil er mir etwas unheimlich war.

Haiti mit in der tropischen Landschaft mit seiner wilden Geschichte hat viel zu bieten. Der einzige Staat, der sich selbst im frühen 19. Jahrhundert aus der Sklaverei befreien konnte, der von den Nachfahren ehemaliger Sklaven beherrscht wird. Und der aus Rache von den Europäern schon kurz nach seiner Gründung in den Ruin getrieben wurde, und sich davon nie wieder erholte,

Denn nicht nur ist es faszinierendes Land, sondern ein bitterarmer Staat. Und vor allem einer, in dem Kriminalität, gerade in der Regierung, so vorherrschend ist, dass so manchem Verbrechensclan in Europa dabei die Ohren schlackern. Too hot for me, leider.

Aber wenigstens so essen und kochen wie in Haiti wollte ich. Wenn ich Aufwand betrieb, um Chillies zu bekommen, dann sollten es Scotch Bonnets sein. Ich warf das Internet an.

Angesichts der 100.000 bis 500.000 Scoville-Einheiten der Scotch Bonnet (und angesichts der Scotch-Bonnett-Challenge auf Youtube) setzte ich parallel auf die vorsichtige Variante. Im Warenkorb landeten zusätzlich Aji Amarillos – ähnlich fruchtig wie die Scotch Bonnetts aber mit nur 2500 bis 5000 Scovilles harmloser. Es gab zweimal Pikliz.

Selten habe ich so auf sauberes Arbeiten geachtet wie im Umgang mit den Scotch Bonnets.

Auch las ich den Ratschlag, Hände/Handschuhe erst mit Öl einzureiben, bevor man sie wäscht. Denn das Öl löst das Capsaicin. Die Seife wäscht daraufhin die Öl-Capsaicin-Mischung ab. Es passierte nichts. Ich verzichtete auf die Schutzbrille, selbst beim Abspülen der Werkzeuge hat mir alleine die nach oben steigende Luft fast die Tränen in die Augen getrieben.

Pikliz in scharf und weich

Pikliz ist in den Grundlagen einfach. Kohl reiben, Karotten reiben, eventuell weiteres Gemüse vorbereiten. Zusammen mit Essig, Limettensaft, Scotch Bonnets und nelkeneinige Tage bei Zimmertemperatur ziehen lassen. Danach lässt es sich für Wochen im Kühlschrank aufbewahren.

Pikliz in scharf und nicht-scharf.

Ich probierte die Version scharf: Mit ganzen aufgeschnittenen Scotch Bonnets, die ich am Ende bergen konnte – sehr fein und weniger scharf als befürchtet.

Und ich probierte die Version weniger scharf mit kleingeschnittenen Aji Amarillos – auch fein, aber die Schärfe verschwindet komplett.

Pikliz-Rezept

Ich orientierte mich an den Rezepten von CaribbeanPot, von That Girl Cooks healthy , von 196 Flavors und von Epicurious.

Als ich bastelte, waren die anderen beiden kulinarischen Weltreise-Rezepte zu den Pikliz nicht erschienen. Chilli und Ciabatta legte ebenso ein wie Frau Zimtkringel.

Als sinnvoll zur Vorbereitung fand ich den grundsätzlichen Artikel zur Küche Haitis von Savourythoughts.

Zutaten

800g Weißkohl
340 g Karotten
170 g TK-Erbsen
2 Schalloten
2 Teelöffel Salz
500 ml weißer Essig
6 Nelken
3 Limetten
2 Scotch-Bonnet-Chilischoten (Ersatz: Habaneros oder eine andere fruchtige Chilisorte)

Vorbereitung

Erbsen auftauen

Kohl und Karotten hobeln.

Schalotten kleinschneiden.

Chillischoten putzen, Samen und Plazenta entfernen. Bei der Verwendung scharfer Chilis entsprechend vorsichtig vorgehen.

Limetten auspressen.

Zubereitung

Kohl, Karotten, Erbsen, Schalotten, Salz, Nelken und Limettensaft mischen.

Die Mischung in ein Einmachglas schichten, Scotch Bonnets möglichst in Gänze dazwischen legen, mit Essig übergießen.

Drei Tage stehenlassen bei Raumtemperatur stehen lassen.

Im Kühlschrank hält sich das Pikliz mehrere Monate. Beim Servieren die Chilis in Gänze entfernen und an wagemutige Mitessende verteilen.

Eignet sich auch als Beilage zu nicht-karibischem Essen

Mehr

Wer Lust bekommen hat tiefer einzusteigen: hier ein Rezept in haitianischem Kreol:

Andere Mitreisende

Volker von Volkermampft mit Soup Joumou – die haitianische Suppe als Weltkulturerbe auf dem Teller
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10 thoughts on “Pikliz – Kulinarische Weltreise Haiti

    1. Ich hatte das Gefühl – sonst wären einige der Rezepte selbst für haitianische Esser sehr heftig gewesen. Aber man weiss es ja nicht vorher.

  1. Haitianisches Kimchi?

    Ich machte mir ja gar nicht erst die Mühe, Scotch Bonnets oder Habaneros käuflich zu erwerben, wobei die Wahrscheinlichkeit, ihrer im Kaff habhaft zu werden, sowie so gegen Minus Unendlich tendieren dürfte.

    Da ich wenig Wert auf verbrannte Mund und sonstige Schleimhäute lege, habe ich irgendeine Chili genommen und mich abschließend mit Chilipulver an die Schärfe rangetastet.

  2. So ein schönes Rezept und so schöne Einmachgläser! Falls du übrigens mal hier im Süden weilen solltest: Im Zoologisch-Botanischen Garten Wilhelma in Stuttgart ist im Spätsommer meist eine große Chiliausstellung. Wenn man das Glück hat, als Blogger eingeladen zu werden, geht man vielleicht, aber auch nur vielleicht mit den passenden Scotch Bonnets, Habaneros und Carolina Reepers heim.

      1. Ich hoffe, Du hast es nicht auf Youtube gestellt. Da gibt es dramatische Videos von „ich und mein scharfer-Chilli-Versuch“.. übrigens habe ich ungelogen anfang dieser Woche Zugtickets mit Umstieg in Stuttgart gebucht und meine südwestdeutsche Frau meinte, ich muss dringend mal die Wilhelma-Bildungslücke füllen .-)

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