Mucenici – Märtyrersuppe aus Rumänien

Mucenici – Märtyrersuppe aus Rumänien

Rebel Sauce tropfte auf mein Poloshirt. Hellroter Flecken auf dunkelblauem Stoff. Gut, dass ich niemand mehr treffen wollte. DJ Hüpfburg war Kummer mit mir gewöhnt. Neben Exkursionen nach Berlin-Wedding mit vertropften Burgern gehörten auch ausführliche Erklärungen zu abseitigen Themen in mein Programm.

„Das ist echt irre“, erläuterte ich, „in Rumänien enthält quasi jedes Hauptgericht reichlich Fleisch. Gleichzeitig sind die Rumänen aber auch große Freunde des Fastens. Natürlich alles ohne Fleisch. Fast jedes Gericht besitzt eine Fastenversion – du post – in der Fleisch ersetzt wurde.“

Ich nehme einen weiteren Bissen vom Rebel Burger – mit Fleisch. „Burger mit Pommes. Das brauch ich nach dem Schwimmen. Gut, dass ich nicht fleischfaste.“

Fastenzeiten

„Gläubige Rumänen fasten echt lange. Fünf Monate im Jahr: 49 Tage vor Ostern, knapp drei Wochen Apostelfasten im Juni, zwei Wochen Gottesmutterfasten im August, 40 Tage vor Weihnachten. Auch jeden Mittwoch und Freitag wird gefastet, solange auf diese Tage kein Feiertag fällt.“

Ich bereitete mich auf die kulinarische Weltreise vor. Ein Blogevent, veranstaltet von volkermampft, der eine bloggende Reisegruppe einmal im Monat durch verschiedenste Länder der Welt führt.

Nachdem es letzten Monat nach Äthiopien ging, und im weiteren Frühjahr Singapur (April) und Brot&Brötchen (Mai) die Reiseziele sind, reisen wir im März nach Rumänien – ein Land des großen Fastens. Da mein geplantes Gericht die schöne Rezeptangabe enthält „Wenn die Märtyrer oben schwimmen, ist die Suppe fast fertig“, tauche ich schon wieder in die Welt christlicher Gebräuche ein.

Blogger Aktion "Die kulinarische Weltreise" von @volkermampft hält in LAND - die besten Rezepte und Gerichte

Hüpfburg schaute skeptisch „Und du schreibst nicht einfach wieder den Äthiopien-Text und hoffst, dass es niemand merkt? Die Fastentage kommen mir bekannt vor.“

Ich entrüstete mich: „Die Rumänen sind wie die Äthiopier auch orthodox! Sie sind die schlimmsten Christen in ganz Europa.“ Hüpfburg schaute skeptisch.

Ich versuchte, auf sie einzugehen: „Also, Deine Polen sind katholisch“. Sie sprang fast auf „MEINE Pol*innen sind atheistisch oder schlimmstenfalls FLINTA*-Heidnisch! Für die anderen Pol*innen kann ich nichts.“ Ich wende ein, dass es in Polen immerhin Andere gibt. Bei der letzten rumänischen Volkszählung hingegen gab es mehr Zeugen Jehovas als Gottferne (Agnostiker und Atheisten).

Auch wenn der Glaube in Südosteuropa nicht so extrem gelebt wird wie in Äthiopien. Gerade im ländlichen Raum und bei Älteren spielt die Kirche eine Rolle, die man sich in Deutschland nur noch schwerlich vorstellen kann.

Fasten gehört dazu. Ich zweifle, dass viele Rumänen alle fünf Monate durchhalten. Aber die Zeit vor Ostern ist wichtig. Das bedeutet aber nicht Genussverzicht. Neben den zahlreichen Gerichten „du post“ kommen viele süße Backwaren ohne tierische Produkte aus. Die Zeit vor Ostern ist in Rumänien die Zeit des süßen Gebäcks.

Es gibt sogar einen Süßes-Gebäck-Tag: In der Fastenzeit am 9. März liegt das Fest der 40 Märtyrer.

Hüpfburg: „Und die Rumän*innen bestrafen sich an dem Tag mit süßen Gebäck?“

Ich: „Fast“

Die 40 Märtyrer

Die 40 Märtyrer von Sebaste waren der Heiligenlegende nach 40 römische Soldaten, die an einem 9. März im vierten Jahrhundert für ihren christlichen Glauben ermordet wurden. Den 40 wird in der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche gedacht; eine volkstümliche Bedeutung haben sie nur in den orthodoxen Kirchen.

Die Legende existiert in verschiedenen Varianten. Die 40 Soldaten sollten dem christlichen Gott abschwören und den römischen Göttern huldigen. Als sie sich weigerten, wurden sie gefoltert und danach entweder eine Nacht oder drei Nächte auf einen zugefrorenen See verbannt. Einer der ihren wechselte die Seiten. Er ging in ein römisches Badehaus am Rande des Sees und starb dort am Schock des warmen Wassers. Einer ihrer Wächter allerdings bekannte sich nach einer Eingebung zum christlichen Glauben und schloß sich den Märtyrern an, so dass es am Ende wieder 40 wurden.

Am Ende der Nacht, oder der Nächte, lebten noch alle oder einige. Es wurden am Morgen alle getötet und verbrannt. (Außer diejenigen offensichtlich von denen Reliquien kursieren).

In Varianten der Legnde erfroren die Märtyrer nicht, sondern sie ertranken. An der Stelle an der sie untergegangen erschienen am nächsten Morgen Blumen auf dem Wasser. Oder sie ertranken, tauchten am Morgen in Gänze wieder auf, gekrönt von einer göttlichen Krone.

„Und am 9. März gehen die Rumän*innen in die Kirche, quälen sich mit Eis und kalten Wasser?“, fragte Hüpfburg.

„Nein, vor allem trinken sie.“

Das Fest der 40 Märtyrer

Selbst im orthodoxen Rumänien scheint das Fest der 40 Märtyrer vor allem einen Anlass zu allgemeinen Feierlichkeiten zu geben. Am 8. März feiert in Rumänien, nicht nur den Frauen- sondern auch den Muttertag. Die Männer haben beschlossen, den 9. März zum Männertag zu gestalten.

Anlässlich der 40 Märtyrer gehört es zum Brauch, 40 Glas Rotwein oder Tucia, rumänischen Pflaumenschnaps, zu trinken. Damit sind die Männer vollkommen ausgelastet.

Die Frauen hingegen dürfen den Frühjahrsputz durchführen und Teig in achten Falten. Das Fest der 40 Märtyrer wird allgemein als Anfang des Frühjahrs angesehen. Das Haus wird geputzt, der Müll verbrannt und in ländlichen Gegenden wird der Pflug gesegnet, bevor er auf die Felder fährt. Dazu gibt es Mucenici.

Mucenici-Nudeln in Form einer Acht

Sowohl Gebäck wie Suppe zeichnen sich durch die 8er-Form des Teigs aus.

Mucenici ist dabei eines der beiden rumänischen Wörter für „Märtyrer“, bezeichnet sowohl die Märtyrer als auch das Fest, ebenso wie die Suppe und die Nudeln darin. Weshalb viele Rezepte dazu raten, die Märtyrer zu falten, trocken zu lassen, und sobald sie aus dem Wasser aufsteigen, ist das Gericht fertig.

Im Norden werden die Mucenici des Landes als Gebäck serviert. Im Süden Rumäniens als süße Nudelsuppe. Ich mache Mucenici nach Art der Dobrudscha, die südliche Variante. Die nördlichen sind moldawische Mucenici.

Moldau und Moldau

Hüpfburg wendete ein: „Aber Moldau ist ein eigenes Land. Das ist nicht Rumänien.“ Ich konnte mit einem klaren jein antworten. Moldau – die historische Region – liegt im nördlichen Rumänien. Moldau, der Staat, liegt in der historischen Region Bessarabien mit der Hauptstadt Chisinau. Es gab einst ein Fürstentum Moldau, das aus den Regionen Moldau und Bessarabien bestand. Irgendwie hat die falsche Region jetzt den Staatsnamen behalten.

Ich atmete tief durch. „Naja, und die Einwohner des Staates Moldau sprechen großtenteils rumänisch, fühlen Rumänisch und die meisten Moldauer sehen sich als Rumänen. Außerdem wird das Lannd an drei Seiten von der Ukraine begrenzt. Moldau war vom zum Hitler-Stalin-Pakt bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Teil der Sowjetunion. Es hat keinerlei nennenswerte Armee. Ich mache mir Sorgen um die Moldauer in ihrem Land das eins und zwei mit Rumänien ist“:

(Für Nicht-Rumänisch-Sprechende empfiehlt sich das Anschalten der englischen Untertitel)

Für die Moldauer kann ich kurzfristig wenig machen, außer an geeigneter Stelle Geld zu spenden. Naja, und langfristig: Austausch und Integration. Rumänien und Moldau und die Ukraine sind Teil eines freien Europas, die Europäer sollten ihnen das auch mitteilen.

Mucenici-Rezept

Beim Querlesen durch das Internet blieb ich schließlich bei Yuzubakes hängen , behielt vieles von anderen Websites im Hinterkopf (zum Beispiel artsybytes oder bylena) aber nahm deren Rezept für „Traditional Romanian Mucenici“ als Maßstab. Halbierte allerdings die Mengen, süße Nudelsuppe wollte ich probiert haben, bevor ich Vorratshaltung übergehe.

Zutaten

Mehl, Rum und Rest

Nudeln (Tag 1)
2 Cups Weizenmehl
1 großzügige Cup Wasser
2 Esslöffel Olivenöl
Etwas Salz

Suppe (Tag 2)
1 Liter Wasser
1/2 Cup Zucker
1 Paket Vanillzucker (Kann man natürlich aus Vanille und Zucker auch selbst machen, aber wo er schon im Schrank war)
2 Zimtstangen
Zitronen- und Orangenzeste
1 Cup Walnüsse, gemahlen
Ein Schuß Rum. (Im Originalrezept Rumessenz, aber Rum ist Rum)

Zubereitung

Tag 1: Nudeln

Vorbereitung: Platz zum Ausrollen des Teigs vorbereiten. Platz vorbereiten, um die Achten zwischenzulagern.

Alle Zutaten (Mehl, Öl, Wasser, Salz) durchkneten, bis ein weicher nicht mehr klebender Teig entsteht.

Den Teig für 20 Minuten ruhen lassen.

Ausstechformen für Mucenici. Ein Schnapsglas und eine Blumenform.

Ausstechformen

Teig ausrollen, bis er einen Viertelzentimeter dick ist. (Das Originalrezept spricht von einem halben Zentimeter. Ich versuchte, etwas dünner zu rollen, und würde im Nachhinein sagen: Noch dünner wäre besser gewesen).

Kreise ausstechen. Wer hat, kann zwei ringförmige Ausstecher nutzen. Wer nicht hat – so wie ich – kann ein Schnapsglas und einen wellenförmigen Ausstecher nutzen. Hauptsache beide Formen sind rund und der Außenkreis hat nicht mehr Durchmesser als fünf Zentimeter.

Die Kreise zu achten Formen und auf eine vorbereitete Unterlage legen. Am Kreuzungspunkt leicht festdrücken, damit die acht auch beim Kochen die Form behält.

Blech mit Mucenici-Nudeln

Die acht steht für die Blumen, die aufstiegen oder die Krönen oder die Körper der Märtyrer oder die Unendlichkeit.

Den restlichen Teig wieder zusammenkneten, erneut ausrollen und zurück zum Schritt ausstechen. Bei mir landeten in jeder Runde etwa 10 bis 15% des Teigs in den Achten, der Rest war Rest. Ich fühlte mich wie bei Achilles und der Schildkröte.

Spätestens jetzt ist der Zeit für den Gedanken gekommen „Ich hätte natürlich vorher jemand um Hilfe fragen können.“

Nachdem die ganzen Achten geformt sind: Bis zum nächsten Tag ruhen und trocknen lassen.

Tag 2: Suppe

Einen Liter Wasser zum Kochen bringen. Sobald es kocht, Märtyrer, Vanillezucker und Zimt hinzufügen. Sobald die Märtyrer aufsteigen, den Bisstest machen. Sind sie gekocht und al dente geht es zum Finale.

Zucker, Rum, einen Teil der Orangen- und Vanillezesten und zwei Drittel der gemahlenen Walnüsse hinzugeben. Weitere fünf Minuten kochen bis sich der Zucker komplett aufgelöst hat.

In einer Schüssel servieren, mit den restlichen Walnüssen und restlichen Orangen- und Zitronenzesten dekorieren.

Schüssel mit Mucenici

Das Fest des Frühjahrs wird in braun gefeiert.

Riecht wie Weihnachten

Riecht wie Weihnachten, feiert angeblich 40 grausig gestorbene und in Wahrheit den Frühlingsanfang. Frauen und Kinder essen süße Suppe, während die Männer nach ihren 40 Pflaumenschnaps schon lange in der Ecke liegen.

Mucenici-Supper im Teller. Die Achten sind gut sichtbar

Rumänische Festivitäten

Da ich die kulinarische Weltreise ja auch als Vorwand nutze, um einen halben Tag lang durch Youtube zu surfen, noch ein Fundstück. Irina Rimes (rumänischer Superstar) und Zdob si Zdub aus Moldau mit einem Lied zur rumänischen Mittsommernacht „Sanziene“:

Weitere Weltreisende

Kathrina von Küchentraum & Purzelbaum mit Rumänischer Nussstrudel
Anna fuer Wilma von Pane-Bistecca mit Anna’s Salata de Vinete
Friederike von Fliederbaum mit Karpfen auf rumänische Art

(Weitere Weitere werden im Laufe des Monats ergänzt)

18 thoughts on “Mucenici – Märtyrersuppe aus Rumänien

  1. herzlichen dank, Dirk! text, rezept und vor allem der alberne film sind für mich sehr trostreich! ich hoffe so, dass dem land moldawien nicht das schicksal der ukraine blüht…

    1. Liebe Iris, das freut mich sehr. Ich war erst Ende letzten Jahres in Krakow, habe dort diverse Ukrainer getroffen und mir ist erst aufgefallen wie nah das alles ist. Denke auch viel an die Menschen von dort und freue mich selbst über jedes bißchen Trost.

  2. Wir sind meist so nach Westeuropa orientiert, dass uns der Osten fremd (geworden) ist, obwohl genauso weit entfernt. Habe mit Interesse jetzt deinen Beitrag gelesen! Die Nudeln sind interessant, die probiere ich aus, aber mit der Suppe kann ich sie mir (noch) nicht wirklich vorstellen…

  3. Hallo Dirk,

    schön das Du wieder dabei bist und uns sowohl nachdenklich als auch unterhaltend mit Deinem Text bereicherst.

    Die Mucenici hatte ich auch schon auf meiner Liste, musste dann aber das schöne Wetter genießen und so gab es sie leider nicht.

    Daher freue ich mich, dass Du sie gemacht hast.

    Gruß Volker

  4. Wieder sehr schön geschrieben und sehr interessant. Man lernt einfach bei der kulinarischen Weltreise nie aus. 5 Monate im Jahr fasten wäre für mich überhaupt nix, dass würde ich never ever durchhalten.

    Liebe Grüße
    Britta

  5. Ein wirklich interessanter Artikel. Leider müsste ich die Walnüsse ersetzen, aber ansonsten gefällt mir Dein Rezept. *notier*

    Liebe Grüße, Sus

  6. „Anlässlich der 40 Märtyrer gehört es zum Brauch, 40 Glas Rotwein oder Tucia, rumänischen Pflaumenschnaps, zu trinken. Damit sind die Männer vollkommen ausgelastet.
    Die Frauen hingegen dürfen den Frühjahrsputz durchführen und Teig in achten Falten.“
    Ich prangere das an! Oder darf man beim Achten falten auch trinken? 😀

  7. Ich muss gestehen, ich war kurz irritiert, als ich das mit den Fastentagen gelesen habe, dass kam mir doch irgendwie aus deinem Äthiopien-Beitrag bekannt vor 😉. Die Suppe ist ja optisch nicht wirklich ein Highlight, aber geschmacklich ist sie sicherlich interessant. Wieder ein spannender und informativer Beitrag von dir, vielen Dank dafür.
    Liebe Grüße
    Tina

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