Hutspot aus dem Dutch Oven

Hutspot aus dem Dutch Oven

Ein letztes Tagpfauenauge strebte auf einen einen sonnigen Platz. Es landete auf dem Südhang meines Bauchs. Eine verirrte Wespe suchte einen Unterschlupf für den Winter. Die Sonne, die über die verblühten Gräser strich, vermochte fast über den vorherigen Nachtfrost hinwegzutäuschen. Ich versuchte mich an Gartenarbeit; hielt rechts die Axt und versuchte mit links, die Paletten zurechtzurücken.

Nachbar Dietbert fuhr auf einem Longboard vorbei, huldvoll ließ er langsam winkend seinen Arm kreisen.

Huldvoll wollte ich zurückwinken, stolperte über die Palette und brach in einweniger huldvolles „Aua, FUCK, Args, Au.“ Aus. Im Holz verfangen und den falschen Teil gegen das Schienbein bekommen.

Dietbert fragte: „Was machst Du?“

Ich: „Aua. Fuck Palette. Das wird niederländisches Essen“.

Dietbert: „Dafür brauchst Du eine Axt?“

Ich: „Holz hacken.“

Plötzlich brach Dietbert in Zuckungen aus.

„Was ist das?“, fragte ich irritiert. Dietbert wirkte wie ein Roboter auf Kokain. Oder wie eine Scooter-Bühnenshow auf fünffacher Geschwindigkeit. Fast begann ich mir Sorgen zu machen.

„Hakken, Hakkuh, Gabber“, sagte Dietbert atemlos. „Der geilste seltsame Tanz der Welt. Damals in den späten 1990ern. Jedes zweite Wochenende nach Rotterdam und auf die Gabber-Parties. Thomas und Thomas von der Mercedes-Werkstatt und ich. Wir hatten das beste Auto, die beste Anlage. Bass, bis das Heck wippte. Die Holländer haben uns schon gehört, als wir noch bei Osnabrück waren. Dann drei Tage Party.“

Ich staunte Dietbert an und verstand nichts. „Gabber“ sagte mir etwas. Schnelle Technomusik, die aus Rotterdam und Amsterdam kam. 140 bis 190 Beats per Minute.

Gabber war die eine Innovation der niederländischen Musikszene, die sich weltweit verbreitete Techno, aber dreimal so schnell. Soweit reichte meine undeutliche Erinnerung. Aber „Hakken“? Und warum sah es so besorgniserregend aus.

Ich fragte, Dietbert: „Keine Ahnung warm es hakken hieß. Sicher holländischer Slang. Es geht um die Beine nicht die Arme. Vielleicht weil es so abgehakt aussieht. Hübsche Axt hast Du.“

Während Dietbert die Axt bewunderte, versuchte ich unauffällig in Wikipedia nachzulesen. Dort fand ich den Text:

„Hakken ist ein Rave Dance aus der niederländischen Gabberszene. Der Tanz ähnelt älteren europäischen Volkstänzen wie dem Zapateo. Der Name leitet sich vom niederländischen Wort für ‚hacken‘ ab. Er besteht aus schnell aufeinanderfolgenden kleinen Schritten, die Hauptbedeutung liegt auf den Beinen. Da er dem Beat des Tanzes folgen muss, ist er schnell, da Gabber und Hardstyle bis zu 190BPM haben können.“

Kein Wunder, dass Dietbert bei Niederlande und Holzhacken an Hakken den Tanz denken musste.

Ich holte aus. „Klar, Hakken natürlich. Wusstest Du, dass es mit dem Zapateo zusammenhängt, der wiederum aus dem Flamenco stammt. Alte Kulturtradition. Und wusstest du, dass das Wort „Gabber“ aus der niederländischen Ganovensprache kommt und ‚Freund’ bedeutet. Es kam dort wohl über das hebärisch/jiddische ‚Chaver‘ mit derselben Bedeutung in den Wortschatz. Ich weiß alles.“ Ich blieb mit meinem Wissen gönnerhaft und hoffte, dass Dietbert keine Rückfragen hatte.

Dietbert aber war gedanklich schon wieder vom Tanz-hakken weg und beim Holzhacken angekommen: „Sag Dirk, Du machst ja manchmal Sachen anders als andere. Aber warum bearbeitest Du eine Holzpalette mit der Axt und sagst, es geht um niederländisches Essen?“

Es war eine lange Geschichte.

Weiterhin koche ich mich weltreisend durch das Jahr. Da ist zum einem die Teilnahme am Blog-Event „Kulinarische Weltreise“ von volkermampft. Die gastiert diesen Monat in den Niederlanden. Nachdem eine gebrochene Kupplung mich und den japanischen Tempura-Kürbis im September aus der Bahn geworfen hatten, wollte ich diesen Monat wieder teilnehmen.

Blogger Aktion "Die kulinarische Weltreise" von @volkermampft hält in den Niederlanden - die besten Rezepte und Gerichte der niederländischen Küche

Zum anderen versuche ich mich 2021 das Kochbuch „Die 100 berühmtesten Rezepte der Welt“ zu kochen. Dort gibt es nur ein niederländisches Rezept. Und dieses Rezept irritierte mich. Denn die Spezialität war offensichtlich Rübenmus.

Rübenspot

„Rübenmus?“ Sollte dieses Kochbuch wirklich Rübenmus als niederländische Spezialität ausgeben? Dasjenige aller Schleswig-Holstein-Gerichte, das in diesem Haushalt am regelmäßigsten auf dem Tisch steht. Das Gericht, das verkündet „nun beginnt der Herbst“? Und die ‚100 berühmtesten Rezepte‘ wollen mir erzählen, dass Rübenmus eine niederländische Spezialität ist und „Hutspot“ heißt? Pah!

Eintrag "Hutspot" aus dem Buch "Die 100 berühmtesten Rezepte der Welt"
Hutspot mit Genever

Ich gebe zu, die Nordseeküste Schleswig-Holsteins und die Niederlande haben Gemeinsamkeiten. Die Landschaften sind flach, liegen fast auf Meeresniveau. In Teilen der Schleswig-Holsteinischen Westküste ebenso wie in Teilen der Niederlande, wird friesisch gesprochen.

Was im Norden ‚Koog‘ heißt, heißt im Westen ‚Polder‘ – fruchtbare Marschlandschaft, erst vor wenigen Jahrhunderten oder gar Jahrzehnten aus dem Meer gewonnen. Entwässerungskanäle durchziehen die Felder. Diese sind so fruchtbar, dass einen die Feldfrüchte anspringen. Bei gleichem Boden, gleicher Landschaft und gleichem Klima kein Wunder, dass die Gerichte ähnlich sind. Und doch: Rübenmus ist Rübenmus und nicht Hutspot.

Erst nach mehrmaliger Rezeptlektüre in den 100 Rezepten fiel mir der Unterschied auf. Während das heimische Rübenmus im Verhältnis 1:1:1 aus Wurzeln (Karotten), Kartoffeln und Steckrüben besteht, werden beim Hutspot die Steckrüben durch Zwiebeln ersetzt. Sind die klassischen Beilagen beim Rübenmus Schweinebauch und deftige Wurst, ist es beim Hutspot Rinderbraten.

Oder anders gesagt: Hutspot ist ein Stück edler und urbaner, Rübenmus ein Stück bäuerlicher und deftiger. Rinderbraten ist edler als Schweinebauch. Denke ich an Gerichte mit Zwiebeln, denke ich an Soupe à l’oignon. Denke ich an Steckrüben, denke ich an Hungerwinter und Tierfutter. Was den entscheidenden Unterschied zwischen den Niederlanden und Schleswig-Holstein gut auf den Punkt bringt.

Außerdem hat Hutspot eine hübsche Ursprungs-Legende, die zu schön ist, um hier erzählt zu werden. Sie führt dazu, dass der 3. Oktober der Hutspot-Tag ist. Wer mich persönlich kennt oder mit mir auf Facebook befreundet ist, wird wissen, dass der 3. Oktober in diesem Haus schon vor 1990 ein besonderer Tag war. So langsam konnte ich mich damit arrangieren, dass mir hier Rübenmus als niederländische Spezialität untergeschoben werden sollte.

Königin Juliana isst Hutspot am 3. Oktober 1974. Bild: koningin Juliana , Prins Bernhard en Prinses Beatrix bij viering ontzet van Leiden (1574); Hare Majesteit eet hutspot von: Rob Mieremet / Anefo Quelle: Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Dutch = holländisch oder altertümlich deutsch

Während ich so Rübenmus-haderte, mir nicht sicher war, ob mir das niederländisch genug ist, schweiften meine Blicke durch die Gegend. Sie fielen auf den „Dutch Oven“. Das ist es! Dutch ist ja das englische Wort für „niederländisch“. Alles, was im Dutch Oven zubereitet wird, ist aus Prinzip niederländisch.

Und seien es Kochbananen, oder Chop Suey oder Königsberger Klopse. Der Dutch Oven macht das ganze zu einem niederländischen Gericht. Hutspot im Dutch Oven. Das gibt mir die Chance den sommerlichen Spätherbst zu nutzen, draußen zu kochen und mit Feuer zu spielen.

Und es ergab sich, dass im Garten zwei unbehandelte Holzpaletten lagerten. Diese hatten sich bereits mehrfach als gefährliche Stolperfallen und Blaue-Fleck-Erzeuger betätigt.

Die brandenburgischen Gesetze zum Thema Lagerfeuer sagen:

Genehmigungsfrei sind kleine Feuer. Daher darf die Größe des Holzhaufens im Durchmesser und in der Höhe einen Meter nicht übersteigen. Das Feuer sollte so unterhalten werden, dass die Flamme möglichst klein bleibt.“ Unsere Brandenburger Latifundien sind zum Glück extensiv genug, um schnell eine Feuerstelle buddeln zu können.

So standen ich, die Axt und Dietbert im Garten, im Versuch, das Holz in handliche Stücke zu bearbeiten.

Dutch Oven im Lagerfeuer

Hot and slow

Und nachdem meine bisherigen Versuche mit dem Dutch Oven im Erdlochofen tendenziell immer zu wenig gar endeten, sollte dies der Versuch in die andere Richtung werden: Gibt es ein zu viel an Hitze? Überstehen Essen und Topf es, über längere Zeit, im offenen Feuer zu stehen.“ Zumal die Hutspot-Ursprungs-Legende mit einer Schlacht zu tun hat, brennende Barrikaden auch optisch hübsch dazu passen.

Dutch Oven in Lagerfeuerkohle

Die klare Antwort ist ein „Ja, aber.“ Der Dutch Oven überstand es. Das Hutspot sah auf den ersten Blick nicht überzeugend aus.

Verkohlte Kartoffelstücke

Zum Glück hatte die kartoffelige Aktivkohle eine schützende Schicht gebildet, unter der sich feines Zwiebelmus befand. Die oberste Lage konnte ich absammeln. Den Rest stampfen. Der Aromatik hat die intensive Hitzebehandlung nicht geschadet. Eher im Gegenteil.

Hutspot mit Grützwurst auf Teller
Hutspot fertig

Dazu briet ich die Grützwurst in der Pfanne auf. Und wir hatten ein wunderbares Gericht, um den Herbst einzuleiten. Wir haben die Hoffnung diesen Winter, mehr in Innenräumen zu unternehmen als die letzten Jahre.

Auch durch die Tanzschule stolpern wir wieder. Es ist erstaunlich, wie viel man in zwei Jahren vergessen kann. Zur Zeit kann man mir alles an Schritten über alle Tänze erzählen und ich glaube es blind. Langsam aber kommt die Bewegungserinnerung wieder; immerhin dauert das Lernen der Schritte nicht mehr ganz so lange wie ehedem.

Nur für den Hakken bin ich zu alt. Da bin ich schon komplett außer Atem, wenn ich nur anderen Leuten dabei zusehe. Aber wer üben will, hier ist eine Anleitung:

Wer lieber das großartige Herbstgericht Hutspot kochen will, hier ist eine Anleitung:

Zutaten

Zutaten für Hutspot

1 Kilo Kartoffeln
1 Kilo Zwiebeln
1 Kilo Wurzeln
Gewürze

Zubereitung

Die Zutaten in rustikaler Stücke schneiden.

Alles im Dutch Oven anhäufen. Reichlich salzen und mit Gewürzen wie Muskat, Zimt, Thymian würzen.

Im Dutch Oven zubereiten. (Sobald ich weiß wie lange bei welcher Temperatur, wie wird das hier nachgetragen).

Wenn es gar ist, umfüllen und mit einem Kartoffelstampfer zerkleinern. Eventuell Kochbrühe nachgeben, bis die Konsistenz stimmt.

Dazu gerne Fleisch oder Wurst wie schlesische Grützwurst.

Sonnenuntergang über Hutspot

Weitere Mitreisende

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16 thoughts on “Hutspot aus dem Dutch Oven

    1. Das ist ein Problem der Inferno-Methode der Zubereitung. Der Teil unter der Aktivkohle war überraschend lecker. nur leider war es nicht sonderlich viel. Aber es gibt bald Nachschub 🙂

  1. Ich liebe deine Beiträge – und lernen kann man auch immer was: Ja, bei Dutch Oven kann es zuviel Hitze geben. Ich habe darin auch schon Cobbler zu Kohle verwandelt 😉

  2. Das mit dem Tanzen kann ich absolut nachvollziehen, ich vermisse es auch sehr. Weniger den Hakken, mehr klassisch. Für Hakken oder Gabber fühle ich mich dann doch schon zu alt. Dein Beitrag sieht jedenfalls sehr spektakulär aus.

    1. Ich glaube der Hakken verhindert, dass irgendjemand über 25 auf die Parties kommt, ich verstehe jetzt warum die alle immer Trainingshosen getragen haben. Wir waren ja jetzt wieder beim Tanzen; aber wir stolpern schon sehr unbeholfen durch die Gegend gerade.

  3. Deine Beiträge sind immer wieder so genial. Ich bedauere grade, dass ich nicht näher an den Niederlanden lebe, schließe Hakken für mich aus (ich müsste das mal den Kids zeigen, aber die präferieren andere Sportarten ;-)) und muss mal schauen, ob ich die Restfamilie vom Dutch Oven überzeugen kann….

    1. Da sage ich doch danke. Und zum Dutch Oven: er ist schwarz, er ist schwer, er bietet einen Vorwand zum Spielen mit Feuer UND er ist wahnsinnig unpraktisch. Für den männlichen Teil der Familie müsste das doch ein Selbstgänger sein 😉

  4. Hallo Dirk,
    Mensch wenn ich überlege, wieviel Arbeit in Deinem Beitrag steckt. Die
    Recherchen, um uns so viele interessante Informationen mit zu teilen. Die Fotos und schließlich das Kochen!
    Chapeau!
    Liebe Grüße
    Edyta

  5. Ich tendiere stark zu deiner Version! Mal davon abgesehen, dass ich – obschon weiblich und mittleren Alters – auch unglaublich gerne mit offenem Feuer herumspiele, machen Raucharomen doch alles auch gleich viel interessanter. Die nächste Ration kommt aus dem Dutchoven!

  6. Das ist ja wieder ein grandioser Beitrag von dir! Da ich sehr oft in den Niederlanden bin, habe ich schon diverse Hutspot-Varianten probiert. Ich liebe das Zeug! Deshalb glaube ich dir sofort, dass die Dutch Oven-Version richtig lecker war.
    Von den legendären Gabber-Partys habe ich damals gehört. Von einem Kumpel aus der Clique, der damals schon jenseits der 40 war, plötzlich nur noch in putzigen Jogging-Anzügen rumlief und sonntags Abend zu dieser Zeit quasi auf dem Zahnfleisch und mit heftigem Muskelkater ins Restaurant gekrochen kam. Diesen Trend habe ich mir lieber nur aus der Ferne angetan. Ich glaube, das erträgt man nur, wenn man so zugedröhnt ist, wie mein Kumpel damals…
    Liebe Grüße
    Tina

  7. Hallo Dirk,

    schöne Idee mit dem Dutch Oven, auch wenn ich vermutlich ein paar ° weniger genommen hätte.
    In Berlin hattet Ihr übrigens mit dem Bunker einen der vermutlich bekanntesten Gabber Clubs, auch wenn die Musik natürlich aus den Niederlanden gekommen ist.

    Gruß Volker

    1. Als Gabber seine große Zeit hatte, war ich aber noch weit weg von Berlin. Immerhin war ich auf ein paar Rave-Parties in Hannover. Ich könnte dir den Ort sogar noch zeigen, habe aber keine Ahnung wie er hieß.

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