Bitteres in vielen Sprachen
Z winkte mit dem rechten Fuß. Sie vollführte einen einarmigen Handstand und wedelte mit dem Bein. Unter ihr senkte sich der Abhang zum Toteisloch der Blanken Helle hin. Wir hatten uns am Auerochsen verabredet. Denn ich hatte Fragen.
Z drückte sich von der Mauer ab, sprang auf die Füße. Sie landete formvollendet, am Vorderbein der Auerochs-Skulptur. „Handstand ist gut“, strahlte sie, „Bringt einem anderen Perspektiven auf’s Leben. Solltest Du auch machen. Willste?“ Ich schaute an mir runter, „Wird schwierig.“
„Okay“, aber gymnastics ist super. Probiere doch „Yoga mit Adriene“, da läuft wieder die Januar-Challenge – geht für alle, selbst für dich.“
Ich schaute skeptisch.
Sie fuhr fort. Und am Ende sieht es so aus. Sie zog ihr Handy hervor, zeigte ein Video mit wirbelnden, springenden und sich überschlagenden Menschen. „!0.000 Stunden Adriene und Du kannst das auch.“
Ich: „Ha, ha.“
„Aber schau auf die Zuschauer: Meine Alma Mater: 7.000 Menschen in der vollbesetzten Halle. Diese Woche: Saison-Opener der University of Southern Arkansas in Northern Mississippi. Alles probevoll und Masken trägt niemand außer den armen Turnerinnen.“
„But why?“, fragte ich. Klare Antwort: „Mississippi ist anders, selbst in den USA. Viele Crazies; viele die Denken; jeder muss sich selber schützen; und viele ohne Bildung oder Informationen. Aber denke dran, natürlich gibt es da auch Ärzte, Intellektuelle, Leute, die viel Lesen und jede Woche zum Farmer’s Market gehen, um vegan einzukaufen.“
Ich hakte ein: „Farmers‘ Market, das ist es. Ich brauche Hilfe. Mein diesjähriges Kochprojekt ist ‚Bitter‘.“
Z: „Das ist bitter.“
Ich: „Ein Kochbuch von Jennifer McLagan – auf englisch. Aber jetzt habe ich ein Problem. Sie schreibt von Chicory und Endive und Belgian Endive. Was genau meint Sie? Franzosen zum Beispiel bezeichnen ja Chicorèe als „Endive“ und Endivien als „Chicorée Scarole“. Wie halten es die Amerikaner?“
Sie: „Oh je, der Chicory-Endive-Complication-Complex. Das ist kompliziert. „Belgian Endive“ ist auf jeden Fall deutscher Chicorée. Und Radicchio (englisch) ist Radicchio (deutsch).“ Aber sonst wird es schwierig. Vielleicht sollten wir zusammen suchen.
So saßen wir am Fuße des Auerochsen, im Hintergrund das Toteisloch der Blanken Helle und suchten und sammelten die folgende Tabelle zusammen:
Bittere Zutaten in Jennifer McLagans „Bitter“
Geordnet in der Reihenfolge des Auftauchens im Buch. Mit der Bezeichnung, die McLagen selbst benutzt, englische Alternativnamen, deutsche Bezeichnungen und dasselbe in italienisch und französisch. Um die Orientierung im Dickicht, insbesondere bei Chicoores und Zitrusfrüchten, zu vereinfahren, folgt am Ende die biologische Bezeichnung.
Verwendung in „Bitter“ | Englische Alternative | Deutsch | Italienisch | Französisch | Biologisch |
Chicory | Sammelbegriff für Cichoriums | ||||
Curly endive | Frisée | Frisée | Indivia / Scarola (crispum) | Chicorée frisée | Cichorium endivia |
Escarole (broad leaved endivie) | Batavia, Chicory, Endive | Endivie | Indivia / Scarola (latifolium) | Chicorée scarole | Cichorium endivia |
Belgian endive | Chicory, French chicory, Witloof | Chicorée | Radicchio di Bruxelles | Endive | Cichorium intybus var. foliosum |
Radicchio | Radicchio | Radicchio | Radicchio | Cichorium intybus var. foliosum | |
Sugarloaf chicory | Zuckerhut (Fleischkraut) | Pan di Zucchero | Chicorée pain de sucre | Cichorium intybus var. foliosum | |
Catalogna chocories | Catalogna, Schnittzicchorie (im Handel: Löwenzahn) | Catalunya | Cichorium intybus var. foliosum | ||
Asparagus chirocee | Puntarella | Puntarella | Cicoria asparago / Puntarella | Chicorée de Catalogne | Cichorium intybus var. foliosum |
Dandelion | Löwenzahn | Dente di leone | Pissenlit | Taraxacum sect. Ruderalia | |
Arugula | Rocket | Rucola / Rauke | Rucola | Roquette | Eruca vesicaria subsp. Sativa |
Fenugreek | Bockshornklee (Samen) | Fieno greco | Fenugrec | Trigonella foenum-graecum | |
Methi | Bockshornklee (Blätter) | Trigonella foenum-graecum | |||
Swiss chard | Chard | Mangold | Bietola | Bette | Beta vulgaris subsp. vulgaris |
Hops | Hopfen | Luppolo (Luvertin, Luertis) | Houblon | Humulus lupulus | |
Wormwood | Wermutkraut | Assenzo maggiore | Absinthe | Artemisia absinthium | |
Beer | Bier | Birra | Bière | ||
Coffee | Kaffee | Caffè | Café | Coffea arabica / Coffea canephora | |
Tea | Tee | Tè | Thé | Camellia sinensis | |
(Yellow) Gentian | Gelber Enzian | Genziana maggiore | Gentiane jaune | Gentiana lutea | |
Brussels sprouts | Rosenkohl | Cavolo di Bruxelles | Chou de Bruxelles | Brassica oleracea var. gemmifera | |
Turnip | Speiserübe (Navette) | Rapa | Navet | Brassica rapa subps. Rapa | |
Rutabaga | Swede | Steckrübe / Kohlrübe | Rutabaga | Rutabaga | Brassica napus |
Rapini | Broccoli rabe | Stängelkohl (Rübstiel) / Rapini | Cime di rapa / Friarielli / Rapini | Brocoli-rave | Brassica rapa subps. sylvestris |
Horseradish | Meerrettich | Cren / Rafano di spagna | Raifort | Armoracia rusticana | |
Grapefruit | Grapefruit (Pampelmuse) | Pompelmo | Pomélo | Citrus × paradisi | |
Seville orange | Bitter orange | Pomeranze / Bitterorange | Arancio amaro | Bigaradier / oranger amer | Citrus × aurantium |
Olive oil | Olivenöl | Olio di oliva | Huile d’olive | ||
Walnuts | Walnuss | Noce bianco | Noyer commun | Juglans regia | |
Almonds | Mandeln | Mandorlo | Amandier | Prunus dulcis | |
Cardoon | Cardy / Gemüse-artischoke | Cardo | Cardon | Cynara cardunculus var. Altilis | |
Asparagus | Spargel | Asparago | Asperge | Asparagus officinalis | |
Celery | Staudensellerie | Sedano da costa | Céleri-branche | Apium graveolens var. dulce | |
Chocolate | Schokolade (Kakao) | Cioccolato | Chocolat | Theobroma cacao | |
Toast | Toast | Toast | Pain Grille | ||
Caramel | Karamell | Caramello | Caramel | ||
Tobacco | Tabak | Tabacco | Tabac | Nicotiana tabacum | |
Bitter melon | Karela | Bittermelone | Zucca amara | Margose, Momordique | Momordica charantia |
Problemfall Wegwarten
Eine der Zutaten, die mich in nicht-deutschen Rezepten stets verwirrt, ist die Wegwarte, auch Zichorie (Cichorium), und ihre Varianten. Die haben sämtlichst einen leicht bitteren Geschmack. Sie sind im Grunde sich vergleichsweise ähnlich sehendes Grünzeug – und keine Variante ist soweit verbreitet, dass eine globalisierte Ökonomie Namensstandards durchgesetzt hätte.
Die beiden auffallenden Varianten, Chicorée und Radicchio, werden in Dunkelheit getrieben und sind vergleichsweise aufwendig im Anbau. Die anderen – Endivie, Frissee, Puntarelle, Zuckerhut – sind halt erstmal breite Stengel, lange grüne Blätter und schmecken bitter. Es hilft nicht, dass ‚Chicory‘ im englischen eine Sammelbezeichnung für alle Zichorien ist und ‚Radicchio‘ im Italienischen eine Sammelbezeichnung für mehrere Zichorien-Varianten.
Biologisch teilen sich die Varianten in zwei Arten: Cichorium endivia und Cichorium intybus. Der Begirff Cichorium geht auf das altgriechische κιχώριον zurück, das mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fremdwort aus dem Ägyptischen ist. Kein Wunder, dass die Europäer einige tausend Jahre Zeit zur Namensverwirrung hatten. Die Ägypter waren die ersten, die Zichorien und Endivien als Salat und Heilpflanze kultivierten.
Cichorium endivia
Die Endivie Cichorium endivia wird als Endivie oder als Frissée auf dem Markt angeboten. Beide Sorten stammen ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Sie werden aber schon lange in Deutschland angeboten. Die Endivie (auch Escariol, Eskarol, Glatte Endivie, Winterendivie) zeichnet sich durch dicke, ganzrandige Blätter aus. Diese ist haltbarer und intensiver im Geschmack als Frisée.
Cichorium endivia var. crispum / Frisée / Curly endive / Indivia Bild: Cichorium endivia – osterzuria von: Asier Sarasua Garmendia, Assar Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Frisée, auch Krausblättrige Endivie, hat geschlitzte Blätter. Von ihr kommen in Deutschland meist nur die inneren Blätter einer Pflanze in den Handel. Diese liegen während des Pflanzenwachstums sonnengeschützter, sind heller und feiner im Geschmack. Insgesamt ist die Pflanze schlechter lagerfähig als die Glatte Endivie, dementsprechend schwerer im Handel zu finden.
Cichorium intybus
Bei der Gemeinen Wegwarte (Cichorium intybus) wird es wirklich kompliziert. Die gemeinen Wegwarten kommen in Mitteleuropa wild vor, sollten sich am Wegesrand oder im Wildgarten aufsammeln lassen. Sie sind in ihrer Wildform der Endivie gar nicht so unähnlich. Bedeutsam für den Gemüsehandel ist die Untergruppe foliosum.
Cichorium intybus foliosum
In die Gruppe foliosum gehört der Chicorée. Der ist in der vieltausendjährigen Geschichte der Zichorien ein Newcomer. Er verdankt seine Existenz einer Zufallsentdeckung am Botanischen Garten Brüssel. Der Gartenbauer Bresier wollte Zichorien früher ziehen als normalerweise. Bresier pflanzte die Wurzeln deswegen in Pilzhumus in einem dunklen Gewächshaus.
Und er entdeckte – angeblich überrascht – dass die Pflanze die bekannte Chicorée-Form bildet, nicht nur heller ist als normal, sondern auch milder und weniger bitter im Geschmack. Bis heute werden Chicorées doppelt angebaut. Erst die Wegwarten im Freiland, die die Wurzel bilden. Diese werden geerntet und dann bei Dunkelheit in speziellen Gebäuden gepflanzt, wo sie wiederum die Chicorée-Blätter austreiben.
Ebenfalls in die foliosum-Gruppe gehört der Radicchio. Belgische Gartenbauer brachten die Technik des Chicorée-Anbaus nach Norditalien. Die Technik setzten sie bei anderen Sorten der Wegwarte ein. Vorgehen und Ergebnis des Anbaus sind ähnlich: Eine weißere, mildere Pflanze als bei der Freilandform.
Radicchio ‚Castelfranco‘ Bild: RadicchioCastelfrancoKopf von: Goldlocki Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported
Die natürlicheren foliosum-Vertreter, Puntarelle und Catalogna, sind eng verwandt. Bei ihnen werden unter Licht wachsenden Blätter geerntet und gegessen. Catalogna kommt öfter in den deutschen Handel, als auf den ersten Blick deutlich wird: Normalerweise steht am Schild „Löwenzahn.“
Oder anders gesagt: Das, was als Löwenzahn in deutschen Gemüseauslagen steht, ist meistens Catalogna-Zichorie. Die beiden Pflanzen sehen sich ähnlich, haben beide eine erkennbar bittere Note. Botanisch haben sie wenig miteinander zu schaffen. Aber anscheinend ist Catalogna einfacher in relevanten Mengen zu produzieren, zu transportieren und zu lagern.
Puntarella (Singular) beziehungsweise Puntarelle (Plural) werden meist unter dem Namen verkauft. Mir unklar ist noch wie nah oder fern sich Catalogna und Puntarella stehen
.
Cichorium intybus ‚Catalogna Puntarelle Di Gaeta‘. Bild: Bearbeitet von Cichorium intybus ‚Catalogna Puntarelle Di Gaeta‘ kz01 von:
Krzysztof Ziarnek, Kenraiz Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International
Der Zuckerhut ist eine andere Variante der Folisum-Gruppe. Hier kommen die Blätter auf den Markt. Die Pflanze selber ähnelt in ihrem Wuchs einem Zuckerhut – woher ihr deutscher Name stammt. Vor einigen Jahrzehnten handelte es sich in Südwestdeutschland um beliebtes Gartengemüse.
Cichorium intybus sativum
Nicht zur Folisum-Gruppe gehört die Wurzelzichorie, bekannt durch den Ersatzkaffee. Diese ist Teil der Sativum-Gruppe. Wurzelzichorie ist aus der Mode gekommen seitdem Caffea-Kaffee in Deutschland ganzjährig problemlos erhältlich ist. Erwähnenswert: Im Allemanischen heißt der Ersatzkaffee „Zigori“.
Glücklicherweise ist bei den Wegwarten niemand gelungen, die Arten erfolgreich zu kreuzen. Die Verwirrung wäre vollkommen.
Z hatte sich in ihr Video vertieft. Ich versuchte ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, dass ich gehe. „Ja, tschau. Muss die Stufenbarren-Übung sehen. Aber sag bescheid wenn Du Zichorien kochst. Ich will was ab. Oder Endivien.“ Ich ließ den Auerochsen, das Toteisloch und Z zurück.
Titelbild: Bearbeitet von Wegwarte Roscheiderhof H2a , Autor: Helge Klaus Rieder, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication
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